Zu den beiden Agrarinitiativen vom 13. Juni 2021 / Ein Erklärungsversuch

Von Samuel Spahn, Biopionier und ehemaliger Bauer auf dem Fondlihof

Heute meldet SRF news die Prognose von 55 Prozent Ja-Stimmen für die Pestizid Initiative (PEI) und 54 Prozent Ja für die Trinkwasser Initiative (TWI). Gut fünf Wochen vor dem Abstimmungstermin ist das erfahrungsgemäss sehr knapp. Es droht ein ähnlicher Ausgang wie bei der Konzernverantwortungsinitiative. Möglicherweise gibt es ein Volksmehr, aber die Initiativen scheitern wahrscheinlich am Ständemehr.

Nach der Nein-Parole der Bio Suisse zur TWI und dem verunglückten Auftritt von Urs Brändli  (Präsident Bio-Suisse) im Kassensturz sind die Wogen hoch gegangen und haben sich noch nicht wieder gelegt. Dass die Bio Suisse schon im Herbst die Ja-Parole für die PEI beschlossen hat, geht dabei etwas unter. Ich selber war über die Nein-Parole zuerst ebenfalls irritiert. In der Folge habe ich mich vertieft mit der Thematik auseinandergesetzt und mit diversen Leuten (auch mit Urs Brändli) kommuniziert.

Ich kann die Argumente gegen die TWI nachvollziehen. Die TWI nimmt einzig die Bauern / Bäuerinnen in die Pflicht und erlaubt es andererseits, dass diejenigen Landwirt*innen, die auf Direktzahlungen verzichten, weiterhin Pestizide spritzen können. Die PEI hingegen will, dass auch die importierten  Lebensmittel ohne Pestizide produziert werden, und hat somit einen umfassenderen Ansatz. Auch sollen nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren sämtliche synthetische Pestizide verboten sein und bleiben. Ein Teil der Bauern wird bei Annahme der TWI auf Bio umstellen. Die Aussage von Urs Brändli im Kassensturz, wonach die Preise für Biomilch sinken würden, wurde skandalisiert. Es war von Gier die Rede und von Verrat an der Biobewegung. Der Auftritt von Urs Brändli im Kassensturz war eine Katastrophe. – Der Dachverband der Biobewegung fürchtet mehr Bio? Das darf ja wohl nicht wahr sein! – Die Bio Suisse, ihr Vorstand und eben Urs Brändli haben einen kommunikativen Supergau produziert und die Tragweite ihrer Aussagen zum Milchmarkt total unterschätzt. Ich bin eigentlich immer noch fassungslos, dass man derart blöd sein kann. Nie und nimmer darf ein Biofunktionär sagen, dass er Angst vor zu vielen Umstellern hat. Es scheint, dass die intensive Beschäftigung mit Marktthemen, die Geister an der Peter Merian-Strasse in Basel vernebelt hat.

Dabei hätte man es durchaus anders angehen können! Denn die Gefahr, dass viele Betriebe aus der IP oder Bio-Labelproduktion aussteigen und noch intensiver produzieren, ist bei Annahme der TWI real. Eine solche zusätzliche Segmentierung der Landwirtschaft ist unerwünscht und schädlich. Wir brauchen Lösungen, die alle einbeziehen. Wir wollen auch keine Betriebe, die noch intensiver produzieren, als sie es heute schon tun. So könnte es unter dem Strich tatsächlich soweit kommen, dass bei Annahme der TWI ein Minus für die Ökologie resultiert.

Man muss der Bio Suisse hingegen in diesem Punkt recht geben: Viele Konsument*innen finden zwar Bio gut, doch beim Einkauf greift man dennoch ins billige Regal. Es gibt leider einen grossen Graben zwischen dem Wunsch nach Bio und dem tatsächlichen Kaufverhalten. Die Zeiten, als es zuviel Biomilch gab und sie deswegen konventionell vermarktet werden musste, sind nicht vergessen. Viele Bioprodukte sind deutlich teurer als vergleichbare konventionelle Lebensmittel, woran natürlich auch die Grossverteiler Schuld tragen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, auf die einzugehen ich hier verzichte (Handel, Margen, Logistik, Mengen etc.).  Einen anderen Grund möchte ich dafür herausstreichen: Die externen Kosten der (konventionellen) Landwirtschaft werden nirgends bilanziert. Also die Belastung von Böden, Luft, Wasser oder Klima; der CO2-Ausstoss, der Artenschwund sowie die Zerstörung der Landschaften. Der Biolandbau schneidet in dieser Hinsicht deutlich besser ab. Lebensmittel sind generell zu billig. Würden die externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft auch nur annähernd berücksichtigt, müssten die Biolebensmittel im Laden eigentlich günstiger als die konventionellen sein.

Die TWI will, dass nur betriebseigenes Futter an die Nutztiere verfüttert wird. Es wird darüber gestritten, was das genau heisst. Kann eine Bäuerin kein Futter mehr beim Nachbarn kaufen? Die Initiantin meint, dass Futter aus der Schweiz weiter handelbar sein werde.  Sicher ist, dass es bei Annahme der TWI diejenigen Betriebe, die Direktzahlungen beziehen wollen, kein importiertes Tierfutter mehr verfüttern können. Auch hier gilt eine Übergangsfrist. Jahr für Jahr wird in der Schweiz der Ertrag von 200’000 ha Ackerland an Futtermitteln aus dem Ausland importiert (Soja, Mais, Weizen etc.). Die Folgen sind bekannt: Zuviel Nitrat im Grundwasser, Seen, die seit Jahrzehnten belüftet werden müssen, überdüngte Wälder und Einheitsgrün auf den Güllewiesen mit dramatischen Folgen für die Fauna. Diesen Teil der TWI unterstütze ich ohne wenn und aber. Die Futtermittelimporte sind ein Unding und müssen verboten werden. Der Artikel unter diesem Link fasst die aktuelle Situation gut zusammen: https://doi.org/10.21256/zhaw-2400. Doch auch hier gibt es einen Haken bei der TWI. Betriebe, die auf Direktzahlungen verzichten, können weiterhin Futtermittel importieren. Wie viele Betriebe das sein werden, ist schwierig abzuschätzen. Grundsätzlich ist es so: Je intensiver ein Betrieb produziert, desto weniger ist er auf Direktzahlungen angewiesen.

Es wird bei Annahme der Initiativen oft vor zunehmenden Importen von Lebensmitteln und der Abhängigkeit vom Ausland gewarnt. Doch was sind Futtermittel anderes als Lebensmittel, und wieso ist diese Auslandsabhängigkeit etwas anderes? Fakt ist: Die Schweiz ist in vielfacher Hinsicht vom Ausland abhängig. Natürlich betrifft das nicht nur die Landwirtschaft.

Bei Annahme der Initiativen sinke die Lebensmittelproduktion in der Schweiz je nach Katastrophenszenario um 30 – 40 Prozent, wird uns glauben gemacht. Ich halte das für krass übertrieben. Doch selbst wenn es so wäre, brauchte man nur den Foodwaste zu vermindern, der sich in vielen Bereichen mindestens in dieser extremen Grössenordnung bewegt. Ebenfalls wird davor gewarnt, dass wir die Produktionsbedingungen von importierten Lebensmitteln nicht kontrollieren können (Tierfabriken, Pestizide etc.). Ein Argument, das meiner Meinung nach nicht sticht. Gerade im Biobereich wird im Ausland seit Jahren vieles nach Knospe-Richtlinien produziert. Das ist nicht immer problemlos, aber es funktioniert. Ich denke, viele Landwirt*innen im Ausland würden sehr gerne nach Schweizer Richtlinien produzieren, weil die Schweiz auch in der Lage ist, einen guten Preis dafür zu bezahlen.

Zu guter Letzt noch einige Sätze zu den Arbeitsplätzen. In der in der Schweizer Landwirtschaft arbeiten heute noch etwa 150’000 Menschen.  In den vor- und nachgelagerten Betrieben vielleicht noch weitere 250’000. Ein Teil dieser Arbeitsplätze ist sicher gefährdet, doch auf der anderen Seite entstehen bei einem ökologischen Umbau der Landwirtschaft viele neue Arbeitsplätze. Als Beispiel möchte ich das Gut Rheinau erwähnen. Als die Stiftung Fintan das Gut übernahm, arbeiteten auf dem 120 ha grossen Betrieb zwölf Angestellte. Heute sind es inklusive aller Nebenbetriebe mehr als 200 Menschen. Nachzulesen im lesenswerten Buch: Das Gift und wir. Martin Ott erzählt die Geschichte vom Gut Rheinau. 

Die Frage ist nun: Wie abstimmen?

Emotional möchte ich gerne 2 x Ja einlegen.  Die synthetischen Pestizide müssen verboten werden. Das Trinkwasser ist an vielen Entnahmestellen zu stark belastet. Die Futtermittelimporte belasten Umwelt und Klima. Und überhaupt: Es muss sich so vieles ändern, damit unsere Nachgeborenen eine lebenswerte Zukunft haben. Es ist eher schon zwei als fünf vor zwölf! Und dennoch: Die TWI hat einige Nachteile und Unwägbarkeiten. Im Extremfall drohen sogar negative Konsequenzen. So werde  ich voraussichtlich Ja zur PEI und Nein zur TWI stimmen. Es sei denn, die Emotionen gehen doch noch mit mir durch.

PS 1: Die Schweiz würde sich mit einem Pestizidverbot an die Spitze einer weltweiten, wachsenden Bewegung stellen, die das Ziel hat, die Welt bis zum Jahr 2050 von den Pestiziden zu befreien. Siehe Interview mit Vandana Shiva in Das Gift und wir.

PS 2: Der letzte Satz des Leitartikels von Bettina Dyttrich in der WoZ vom 22. April:  «Wichtig ist, nicht zu vergessen, dass grüne und biobäuerliche TWI-Befürworter und -Gegnerinnen die gleichen Ziele haben. Sie streiten nur über die grosse Frage: Wie kommen wir dort hin?

spahn.s@bluewin.ch / Samuel Spahn erlaubt ausdrücklich die Weiterverbreitung seiner Stellungnahme.

6 Antworten auf „Zu den beiden Agrarinitiativen vom 13. Juni 2021 / Ein Erklärungsversuch“

  1. Wie ich dich, Sämi, verstehe, ist dein zentrales Argument gegen die TWI deine Befürchtung, dass viele IP- und Bio-Betriebe wieder konventionell arbeiten werden und die Initiative damit das Gegenteil von dem bewirken könnte, was sie eigentlich will.
    Aber Bio wird attraktiver, da dort die Direktzahlungen steigen werden. Der Gesamtbetrag der Subventionen wird ja nicht reduziert, nur anders verteilt. Könnte dies die wegen des steigenden Angebots sinkende Produktepreise (z.B. von Milch) nicht mehr als kompensieren?
    Und würde die Nachfrage nach Bio nicht steigen, da die Preise ja sinken werden?
    Gemäss de.statista.com gab es 2019 in der Schweiz rund 50’000 landwirtschaftliche Betriebe, davon rund 18’000 IP und 7’000 Bio, zusammen also etwa die Hälfte. Muss man damit rechnen, dass alle 25’000 konventionellen Betriebe nach Annahme der KVI auf Direktzahlungen verzichten und weiterhin konventionell arbeiten werden?
    Der Bundesrat definierte 2008, abgestützt auf Art. 104 der Bundesverfassung, Ziele der Landwirtschaftspolitik. Bis 2016 wurde von den 13 Zielen kein einziges erreicht, weil mit den Direktzahlungen falsche Anreize gesetzt werden. Sollten wir als Stimmvolk nun der Umsetzung der Verfassung nicht ein wenig Nachdruck verleihen?

  2. Nach diesen vielen Voten, die ich alleine für sich alle verstehe, muss ich unbedingt auch meinen Kommentar dazu geben.
    Für mich ist es 100% klar, die Trinkwasserintiative ist zu befürworten!
    Es kann doch nicht sein, dass wir dafür bezahlen, damit unser Trinkwasser vergiftet wird.
    Alles andere ist Zugemüse und muss über andere Wege geregelt werden, sei das das Landwirtschaftsgesetz, Wirtschaftsförderung, Aussenhandelsregelungen etc.
    Ja, Sämi auch hier gebe ich dir recht, Es ist eine Herzensangelegenheit. Lass dein Herz sprechen und folge ihm.

    Grüne Grüsse, Johann

  3. Lieber Sämi

    Vielen Dank für deinen wunderbaren Beitrag! Gerne teile ich hier meine Gedanken zu einem zentralen Punkt.

    Die entscheidende Überlegung in jeder Abstimmungsfrage ist für mich als Mitbürger (Teil des sich demokratisch selbst bestimmenden Gemeinwesens) folgende: erreicht der Vorstoss Ziele, die auch ich erreichen möchte, oder erreicht er sie nicht oder passiert sogar das Gegenteil (kontraproduktiv)?

    Du sprichst u.a. das Thema Direktzahlungen an. Genau dort gibt es ein Potenzial für Kontraproduktivität der TWI. Die Befürchtung: aktuelle IP- oder Bio-Betriebe könnten in ökonomischer Abwägung sich dafür entscheiden, lieber wieder konventionell und intensiv zu produzieren, weil ihnen das mehr bringt, als „richtig“ Bio zu machen und dafür Direktzahlungen zu erhalten.

    Wenn ich mir die Zukunft vor meinem geistigen Auge vorstelle, dann überlege ich mir: wie hoch müssen denn die Direktzahlungen sein, damit sich ein*e Landwirt*in bei der Kalkulation mit dem Taschenrechner zu Bio hin und nicht von Bio weg bewegt? Bei einer Annahme der TWI müsste doch die entsprechende parlamentarische Gesetzgebung so gestaltet werden, dass sie die Stossrichtung der TWI unterstützt und nicht ins Gegenteil verkehrt. Also z.B. indem die erwünschten Produktionsformen durch Direktzahlungen tatsächlich attraktiver werden (und nicht unattraktiver).

    Dir Sämi, als altgedienter Parlamentarier, muss ich folgendes ja nicht erklären. Ich schreibs trotzdem auf, fürs geneigte Publikum:

    Volk und (leider auch die) Stände spielen die erste Geige in der Legislative, dies klar auf der Verfassungsebene und – etwas weniger – auf der Gesetzesebene. Die zweite Geige spielt das Parlament, klar auf der Gesetzesebene und – etwas weniger – auf der Verfassungsebene. Fast jeder Verfassungsartikel (Volk&Stände-Sphäre) braucht eine Umsetzungs-Gesetzgebung (Parlament-Sphäre). Nach Annahme eines neuen Verfassungsartikels durch die erste Geige muss sich also die zweite Geige an eine Interpretation machen (Umsetzungs-Gesetz). Das Parlament muss sich dabei an gewisse Gepflogenheiten halten, u.a. dass sie zumindest nicht gegen die Stossrichtung des Verfassungsartikels fährt. Ich sage nicht, die Umsetzung habe „wortgetreu“ zu erfolgen. Das wäre absurd, dann bräuchte es die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und Gesetzesebene gar nicht. Aber die Inhalte der ganzen Diskussionen um den Vorstoss herum müssen im Gesetz mehr oder weniger berücksichtigt werden und einfliessen. Und sonst riskiert das Parlament halt ein Referendum (Volksabstimmung über das Umsetzungsgesetz).

    Darum stimme ich eindeutig JA zur TWI. Diese Haltung würde ich erst in dem Moment ändern, wenn eine laute Kampagne für ein JA wirbt, mit dem Argument, die TWI unterstütze die ach so tolle konventionelle Landwirtschaft. Aber das wäre eine absurd Haltung, denn die TWI hat grosse Teile ihrer Forderungen fast 1:1 aus den Bio-Suisse-Richtlinien abgeschrieben.

    Herzlich
    Tex

    PS: Die Pestizid-Initiative ist mir näher und sympathischer: ein einfaches klares Verbot. Eine unmissverständliche Regel, an die sich gefälligst alle halten sollen. Aber realpolitisch schätze ich die Chancen der TWI bei den STÄNDEN ein kleines bisschen besser ein. Darum möchte ich beide Chancen ergreifen und stimme 2xJA.

    1. Rosmarie und Max Eichenberger
      Die Angst, dass viele Betrieb auf Direktzahlungen verzichten und ihren Betrieb intensivieren, ist sehr übertrieben. Alle Betriebe werden weiterhin die Umweltgesetzgebung einhalten müssen! Gerade beim Futterzukauf ist eine Steigerung in weiten Teilen der Schweiz gar nicht mehr möglich. (GVE-Bregenzung und Hofdüngertourismus). Heute erhalten viele Betriebe Direktzahlungen für die Einhaltung der Gesetze! Diese limitieren heute schon die Intensität der Bewirtschaftung. Es wird deshalb vor allem auf den Vollzug der Gesetze und deren Weiterentwicklung ankommen, sowie auf die Umsetzung der Initiativen. Dass gerade hier ein grosser Spielraum besteht, dokumentiert das Gutachten, erstellt im Auftrag des
      Verbands Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute und des
      Schweizerischen Fischerei-Verbands:
      https://vsa.ch/Mediathek/hintergrund-und-tragweite-der-trinkwasserinitiative/
      Die Zusammenfassung ist sehr gut.

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